Theo und Amalie Pinkus
Theo Pinkus 1980, Foto © Hans-Peter Siffert
Theo Pinkus
Kindheit und Jugend in Zürich 1909-1927
Am 21. August 1909 kam Paul Theodor Pinkus in Zürich zur Welt. Seine Eltern stammten aus vermögenden jüdischen Familien in Breslau. Sie waren seit 1908 in Zürich niedergelassen und wurden 1911 Schweizer Bürger. Sein Vater Felix Lazar Pinkus (1881-1947) war Nationalökonom und arbeitete bis zur Gründung einer Privatbank als Journalist und Lehrer am Privatgymnasium Minerva. Er bewunderte die Russische Revolution und stand gleichzeitig der zionistischen Bewegung nahe. Die Mutter Else Flatau (1881-1967) war Schauspielerin. 1916 wurde Theos Schwester Miriam geboren. Die Kinder wurden nicht religiös erzogen, doch die hohen jüdischen Feiertage wurden in der Familie eingehalten. Die Mutter verkehrte in pazifistischen und feminstischen Kreisen und vermittelte den Kindern eine breite humanistische und literarische Bildung
Ab 1921 besuchte Theo das Privatgymnasium Minerva in Zürich. Er war ein begeisterter Leser von Klassikern wie auch von politischen Schriften: Fritz Brupacher, Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg. Als Mitglied einer sozialistischen Jugendbewegung lernte er Kommunisten kennen und war begeistert von deren Ideen.
li. Felix Pinkus und Else Flatau-Pinkus re.Theo Pinkus 1924 © Studienbibliothek
Lehre und erste Berufsjahre in Berlin 1927-1933
Durch den schuldhaften Konkurs der väterlichen Bank wurde die Familie auseinander gerissen. Die Schwester Miriam wurde zu den mütterlichen Grosseltern nach Breslau geschickt. Die Eltern setzten sich nach Albanien ab, um einer drohenden Verhaftung durch die Polizei zu entgehen. Theo Pinkus erlebte die Auflösung des aufwändigen elterlichen Haushaltes als Befreiung. Er fuhr nach Berlin, wo er bei Rowohlt eine zweijährige Verlagslehre begann. Kaum in Berlin angekommen trat er dem Kommunistischen Jugendverbund KJVD bei. Dadurch bekam er engen Kontakt zu Lehrlingen, Arbeitern und Arbeitslosen. Nach Abschluss der Lehre 1929 wurde Pinkus vom kommunistischen Agitator Willi Münzenberg in dessen Neuen Deutschen Verlag NDV geholt.
Nach der Machtergreifung Hitlers am 31. Januar 1933 wurden kommunistische und sozialistische Reichstagsabgeordnete verhaftet. Der Neue Deutsche Verlag löste sich auf und Willi Münzenberg emigrierte nach Paris. Anfang April 1933 verliess Theo Pinkus auf Rat des Schweizer Botschafters Berlin: Als Jude und Kommunist war er ernsthaft gefährdet.
Neustart in Zürich 1933-1940
Kaum in Zürch angekommen trat Theo Pinkus auch hier der Kommunistischen Partei KPS bei. Er fand Arbeit als Redaktor bei der Presseagentur RUNA der Komintern. So geriet er ins Visier des Bundesnachrichtendienstes, der ihn fortan bis in die frühen 80er-Jahre regelmässig observierte. Wie schon in Berlin trat Pinkus aber auch in Zürich der sozialdemokratischen Angestellten-Gewerkschaft bei.
1934 lernte er Amalie De Sassi kennen, welche er 1939 heiratete. Im gleichen Jahr kam der älteste Sohn Marco zur Welt, 1941 dann André und 1949 Felix. Das Ehepaar Pinkus war begeistert von der Schweizer Bergwelt und engagierte sich bei den Naturfreunden. Theo Pinkus organisierte mit Kollegen Skilager für die städtische Arbeiterschaft an Weihnachten und Ostern – damals oft die einzigen Ferientage. Neben sportlichen Aktivitäten gehörten in diesen Lagern auch politische Vorträge zum Programm.
Da Pinkus ein vielfältiges Beziehungsnetz auch ausserhalb der kommunistischen Partei pflegte, verlor er 1938 seine Stelle bei der RUNA und schlug sich während zwei Jahren mit Gelegenheitsjobs durch.
1940 gründete Theo Pinkus zusammen mit einer Kollegin den Büchersuchdienst an der Predigergasse 7 in Zürich. Dieser übernahm Buchbestände von Privatpersonen und Buchhandlungen und vermittelte diese weiter. Nach Kriegsende belieferte der Büchersuchdienst auch internationale Buchliebhaber mit Klassikern, sowie Literatur zu Politik, Geschichte und Kunst.
Theo Pinkus 1940, Büchersuchdienst, © Studienbibliothek
Ebenfalls 1940 wurde die kommunistische Partei in der Schweiz verboten. 1942 wurde Theo Pinkus wegen fehlender Linientreue aus der Partei ausgeschlossen. Darauf trat er in die SP ein. Ähnlich erging es ihm bei den Naturfreunden: auch hier wurde er 1950 ausgeschlossen, diesmal allerdings aufgrund seiner Sympathie für die Kommunisten. Aus dem gleichen Grund wurde er im selben Jahr auch aus der SP ausgeschlossen. Daraufhin trat er nach dem Krieg der neu gegründeten Partei der Arbeit PdA bei.
Theo Pinkus 2.v.r., Naturfreunde, © Studienbibliothek
1948 gründeten Theo und Amalie Pinkus die Limmat-Buchhandlung. Diese vertrieb unter anderem DDR-Literatur. Im gleichen Jahr gründete Theo Pinkus auch den Limmat-Verlag und die Wochenzeitschrift „Zeitdienst“. Diese Zeitschrift wandte sich im Kalten Krieg gegen die Diffamierung der Ostblockländer und unterstützte die Friedensbewegung. 1957 erwarb Pinkus für seine Buchhandlung und den Büchersuchdienst die Liegenschaft an der Froschaugasse 7. Dieser Ort wurde zu einem beliebten Treffpunkt der Neuen Linken Bewegungen.
Das Lebenswerk weitergeben 1971-1991
1971 gründeten Amalie und Theo Pinkus zur Sicherung ihres Lebenswerkes die Stiftung Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Sie vermachten der Stiftung sowohl die Liegenschaft an der Froschaugasse 7 wie auch die Buchhandlung.
Diese wurde 1972 in eine selbstverwaltete Genossenschaft umgewandelt. Als Abgeltung für die Buchhandlung hatte diese die Studienbibliothek regelmässig mit Büchern zu beliefern. Zunehmende Spannungen zwischen der Stiftung und der Genossenschaft sowie die zunehmend schwierige ökonomische Situation von Kleinbuchhandlungen zwangen die Buchhandlung 1998 in die Liquidation.
Ebenfalls 1971 gründeten Theo und Amalie Pinkus die Stiftung Salecina. Mit Hilfe von Freiwilligen richteten sie im Bündner Dorf Maloja ein altes Bauernhaus als Ferienzentrum her, wo seither regelmässig Semiare zu historischen, politischen und ökologischen Themen stattfinden.
Theo Pinkus war der grosse Vernetzer der deutschsprachigen Linken nach 1968. Unermüdlich reiste er zu Tagungen, Ausstellungseröffnungen, Buchmessen, Konferenzen, Seminaren und Protestveranstaltungen. Er verschenkte seine Informationen, teilte bibliographische Kenntnisse mit und gab Wissen über progressive Projekte weiter. Am 5. Mai 1991 starb er in Zürich.
Bilder, Tondokumente und Videos von Theo und Amalia Pinkus im Schweizerischen Sozialarchiv
Amalie Pinkus
Amalie De Sassi, geboren am 4. Juli 1910, entstammte einer einfachen Tessiner Familie, die in Zürich einen Gemüseladen führte. Nach dem frühen Tod des Vaters 1920 brachte die Mutter ihre Kinder allein durch. Amalie entwickelte früh ein Gespür für soziales Unrecht. Obwohl sie eine gute Schülerin war, konnte sie nach der obligatorischen Schulzeit nicht länger zur Schule gehen und machte eine Verkäuferinnenlehre bei Globus.
Sie engagierte sich in der „Internationalen Arbeiterhilfe“ (IAH). 1931 reiste sie als Schweizer Delegierte nach Berlin an einen Kongress der „Internationalen Arbeiterhilfe“ und anschliessend in die Sowjetunion. Dort traf sie junge Leute aus der ganzen Welt, die alle eine neue menschliche Gesellschaft aufbauen wollten. Tief beeindruckt kehrte Amalie in die Schweiz zurück und trat in die Kommunistische Partei ein. Sie wurde nach kurzer Zeit „Zellenobmann“ und Mitglied der Zürcher Parteileitung. Sie unterstützte deutsche und italienische politische Emigranten und fuhr mehrmals in riskanter Mission nach Deutschland und Italien.
Amalie inmitten der TeilnehmerInnen der internationalen Delegation in Taschkent auf der Reise im Anschluss an den 10. Jahreskongress der IAH im Oktober 1931, © Studienbibliothek
1934 lernte sie Theo Pinkus kennen. 1939 heirateten sie, und ihr Sohn Marco wurde geboren. 1942 und 1949 kamen die beiden Söhne André und Felix hinzu. Amalie sorgte für den Haushalt, in Zeiten der Arbeitslosigkeit von Theo für das Einkommen und war emotionaler Rückhalt der Familie. 1943 traf sie mit dem Ausschluss von Theo aus der Partei ein politisch und wie persönlich ein herber Schlag, denn sie wurde ohne Anhörung gleich mit ihm von der Mitgliederliste gestrichen. Diesen Ausschluss verzieh Amalie der Partei nie. Obwohl sie politisch grosse Vorbehalte hatte, trat sie der Sozialdemokratischen Partei bei und blieb bis zu ihrem Tod Mitglied, bezeichnete sich aber zeit ihres Lebens als Kommunistin. Nach dem Krieg arbeitete Amalie in der Friedensbewegung und im Frauenstimmrechtsverband. In den 1970er Jahren, nun schon Grossmutter, wurde sie aktives Mitglied der Frauenbefreiungsbewegung (FBB). Mit Theo zusammen baute sie die Buchhandlung auf, als deren Mitarbeiterin sie lange Jahre die China-Abteilung betreute. Sie beteiligte sich an der Gründung und am Aufbau der Stiftung „Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ und des Bildungs- und Ferienzentrums „Salecina“ in Maloja. Dort blieb sie bis zu ihrem Tod am 9. Februar 1996 als Präsidentin aktiv.