Schweiz, 1955. Stalin ist tot. Die Tauwetterperiode hat eingesetzt. Es ist der perfekte Zeitpunkt, um im Zeichen der Völkerverständigung wieder mit den Sowjetstaaten in Verbindung zu treten. Davon sind die jungen Studenten Alexander Soldenhoff und Franz Schumacher überzeugt. Der Präsident und der Auslandchef des Schweizerischen Studentenverbands (VSS) liebäugeln damit, Kontakte mit Warschauer-Pakt-Studenten zu knüpfen. Endlich sollen die Betonwände des Eisernen Vorhangs durchbrochen werden.
Mit einer gehörigen Portion Naivität reisen sie gen Osten, zuerst nach Prag, dann nach Warschau, wo sie Jirí Pelikán, den Generalsekretär der International Union of Students (IUS) treffen. Der Studentenaustausch zwischen Bern und Moskau soll wieder in Schwung gebracht werden.
Doch in der helvetischen Alpenrepublik stösst das Unterfangen manchen sauer auf. Zürcher Studenten treten eine mediale Hetzkampagne gegen die VSS-Spitzen sol. Ganz vorne mit dabei: die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Sturmgeschütz des antikommunistischen Orchesters. Für Schumacher, der sich später als Politiker und Anwalt in Zürich einen Namen machen sollte, hat die Reise verheerende Konsequenzen. Doch er war bei Weitem nicht der Einzige.
Wer im Kalten Krieg nicht in die antikommunistische Melodie einstimmte, dem wurde das Leben schwer gemacht. Das bekamen auch Schriftsteller wie Otto Steiger, Walter Matthias Diggelmann oder bekannte Politiker der PdA wie Marcel Bruno Brun, Jakob Lechleiter und Primo Medici zu spüren. Ihre Geschichten bleiben bis heute aktuell.
Rafael Lutz ist Journalist. Er arbeitet heute bei der Weltwoche. Zuvor war er mehrere Jahre für Lokalzeitungen und Online-Portale tätig. 2019 erschien sein erstes Buch Heisse Fäuste im Kalten Krieg – antikommunistischer Krawall am Bahnhof Enge im Limmat Verlag Zürich. Das Buch Unzeiten ist im September 2024 bei der edition 8 erschienen. Es hat 120 Seiten und kostet Fr. 21.-.
(Buchvorstellung vom 6. November 24, bücherraum f, Zürich)